Dienstag, 28. September 2010

Zombies

Nach der kostbaren Einladung zum Abenteuer
des gemeinsam Gedichte erwandelns,
des unter ihnen auseinanderfallens und sich neu zusammensetzens ?
Ein Praktikum(tm)! im Kurzgeschichtenraume:

"Das Praktikum

Die verkalkte Maschine sprotzt. Kaffee ist gerade durchgelaufen.
Die letzten Tropfen dröppeln über den Prött durch den Filter. Der
Präparator ist ein grobschlächtiger Typ jenseits der Midlife-Crisis,
seine Koteletten sind buschig und dicht wie der Schwanz des
Eichhörnchens. Er mümmelt an seinem Frühstücksbrot. Schmatzt
unbekümmert. Liest die Boulevardzeitung. Grunzt dabei, wiehert.
Willbert Neumann steckt seinen Wuschelkopf zur Tür herein.
>>Bin ich hier richtig: bei Manfred Schulz?<<
>>Bist der neue Sektionshelfer, woll!?<<
>>Genau.<<
>>Setz dich erstmal auf'ne Kaff'.<<
>>Wat war'sse früher?<<, erkundigt sich Schulz beiläufig, nachdem
er den Sportteil und damit seine tägliche Lektüre hinter sich hat. Er
legt das Blatt weg und sieht seinem Gegenüber in die Augen.
>>Hab' als Metzger gejobbt.<<
>>Und warum bis'te keiner mehr?<<
>>Biofleisch kauft kaum noch jemand. Hab' bei meinem Vater in
der Firma gearbeitet und der finanziert mein Studium<<, liest Will-
bert eigentlich lieber Windschutzscheiben als Bücher, hält es sich
offen, als Zoologe Insekten zu erforschen.
>>N' Auszubildender bleibt im eigenen Betrieb immer der Stift.<<
>>Mein Onkel, Professor Lurk, arbeitet in der Transplantations-
abteilung; der meint, wenn ich den Job hier packe, werd' ich Arzt<<,
erklärt Willi. Auf seinem Gesicht malt sich ein Lächeln ab, das
man verlegen finden könnte, arrogant und routiniert. Im Gepäck
hat er nichts als eine saubere Wohlstandsbiografie. Hier will er die
Bereitschaft entwickeln, an ihr zu leiden.
>>Dat wird wohl angehen. Dann woll'n wir mal.<<"

Dann woll'n wir mal:

R
öntgenrealismus


In keiner der sozialen, kulturellen, beruflichen und ökonomischen Parallelwelten dieser »Zombies«, die A.J. Weigoni röntgenrealistisch abbildet, will man leben. Dieser Schriftsteller blickt mit einen naturwissenschaftlichen, medizinischen und kriminalistischen Blick, sozusagen „bis auf den Teufel hinunter“ (Lichtenberg). Vieles schildert Weigoni als Farce und Persiflage, wobei er in seinen Erzählungen ganz nebenbei auch die Spielarten und Attitüden der Genreliteratur persifliert.

Alles scheint Marketing und nichts bietet ein Zentrum. Die Lebensumgangs- und Kommunikationsformen dieser »Zombies« sind technokratisch geprägt. Diese Kulturprimaten werden in einer emotional erkalteten Welt hinterfragt, sie versuchen eine durch Geld und Konsum beförderte Zufriedenheit für sich als Ziel zu bestimmen, dauerhafte Glücksgefühle erlangen sie damit nicht. Weigoni findet in seinen exakten Erzählungen hyperreal wirkende Szenen, er beobachtet das Geschehen zuweilen aus so abwegigen Perspektiven und kommt den Charakteren so unangenehm nah, das Leben wird zur Geisterbahnfahrt. Die Kosmologie von Weigoni besteht also aus einem rabenschwarzen Paradox: Handeln und Nicht–Handeln, beides führt in die Misere. Mit ihren Lebensverhinderungstaktiken bleibt die ersehnte Liebe seiner Figuren letztlich ein Phantom, was demzufolge bleibt sind Phantomschmerzen.

Die Kapitel, die prosaische und essayistische Elemente verbinden sind praktisch Literaturclips mit filmischen Strukturen und Effekten, worin die Antihelden durch das Bild einer zerfallenden Wirklichkeit laufen, deren permanente Bewegung ihre zunehmende systemische Erstarrung zeigt. Weigonis »Vignetten« beschreiben authentische Sehnsuchtsträume, die »Zombies« überwiegend fabrizierte. Man kann Weigoni eine gewisse Lust an der Bosheit und einen manchmal allzu ungnädigen Umgang mit der conditio humana unterstellen, mit dem er seine Figuren ins scharfe Messer der Kontingenz laufen lässt, gerade das macht seine Erzählungen so unterhaltsam.

Jo Weiß

»Zombies«, Erzählungen von A. J. Weigoni, Edition Das Labor, Mülheim 2010 – Limitierte und handsignierte Ausgabe des Buches als Hardcover

Hörprobe auf«: http://www.hoerspielprojekt.de/MetaPhone/

Die Aufnahme ist in HiFi-Stereo-Qualität erhältlich über: info@tonstudio-an-der-ruhr.de

Mehr ? Um und über diese umtriebigen Schurken ?

Hier, bitte: Edition Das Labor
in höchst aktueller, elegant sich rankend, digitalen Tagebuchform.

In höchstem Dank² der bereichernd Verstörung.